BETTINA CARL |
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BETTINA CARL Was ich noch sagen wollte, Sie aber nicht unbedingt lesen müssen |
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1. sortieren In meiner Hosentasche taste ich den Schlüsselbund, ein altes Zettelchen, eine Münze aha für den Einkaufswagen (prima dran gedacht, wg.: Rucksack wird schwer, Milch, Saft, Dosen und lange Schlange), aber kein Taschentuch in der Tasche, kein krümeliger Rest, nichts. Tür auf beim Bäcker schniefend nach einer Serviette fragen, Brot muss ich aber woanders holen, bitte, ehrlich-erkältet? Ach nein. Die Nase läuft und ich bin alleine hier. Bewege mich ruckartig vorwärts, die Augen tränen, mein Kopf versucht, unaufdringlich im Slalom zwischen den Blicken und den Schaufenstern, zwischen den Bordsteinen und Ampeln einen Weg für den Rucksack, die Jacke, die Schuhe und mich zu finden. Unbeteiligt wirken am eigenen Gang, eben beiläufig, aber nicht unfreundlich und im richtigen Moment zu sprechen beginnen: JA! Danke, ebenfalls. 2. tilgen Alles ist eine Frage von Nähe und Distanz. Die Nähe zum Wichtigen, und anderer- seits der nötige Abstand zu den Nebensachen. So gesehen ist der überwältigende Teil unserer Wahrnehmungsverarbeitungskapazität damit befasst, Informationen, Verknüpfungen, Reize, sowie Höhepunkte und Einleitungen potentieller Geschichten zu vernichten. Obwohl zunächst alles unmittelbar wahr ist, sortieren wir doch umgehend in zu vernachlässigende und wirklich der Mühe werte Eindrücke. (Für das Unwichtige existiert ein Zwischenablagesystem, vielleicht eine rote Stufen-Schiebe-Apparatur ähnlich den Glücksspielgeräten in Glaskästen, bei denen auf jedem Absatz Geldstücke dicht beieinander liegend, sich tendenziell in Massen als Gewinn in die Hände des Spielers ergießen können - Eine Münze kann alles entscheiden! Nur wird es immer mehr, in der Regel, und kleiner.) 3. darstellen Die Bilder sind in der Sprache verfangen. Etwas redet immer mit, jeder Fleck, jede Linie nimmt Teil an der Talkshow zwischen Betrachter, Papier und Kunstgeschichte. form follows function. Das Zeichnen ist im wesentlichen ein Abbilden von ausschwei- fenden gedanklichen Schleifenbewegungen und dem sprunghaften Nachvollziehen eigenartiger Vorkommnisse. Überall tritt jemand ins Bild und schiebt ein Büschel Irgendwas zwischen uns und den leuchtenden Horizont der Bedeutung. Zeichnen ist also ein Versuch, dem Sich-Verlieren, dem Zuviel-Sehen und dem Zuviel-Drüber- Nachdenken eine brüchige, inkohärente und suchende Materialität zu verleihen. Oft sieht das aus wie aus Versehen. | |||||